Anfrage zur Sitzung des Sozialausschusses am 05.12.2018: Unterversorgung in der Geburtshilfe

Annetta Ristow (DIE LINKE)

Für die Fraktion bitte ich um Beantwortung folgender Fragen:

  1. Wie viele freiberufliche Hebammen sind in Kerpen derzeit tätig zur Vor- und Nachsorge der Frauen bei Schwangerschaft, Geburt sowie Wochenbett? Wie viele davon praktizieren lediglich nebenberuflich?[1] Wie hat sich die Zahl der aktiven freiberuflichen Hebammen in Kerpen seit 1997 entwickelt?
  2. Bis zu welchem Grad ist 2017 die Geburtsvorbereitung von Schwangeren durch Hebammen in Kerpen gewährleistet gewesen?
  3. Wie viele Geburten wurden 2017 von den ortsansässigen Hebammen als Beleghebammen in Krankenhäusern, in Geburtshäusern bzw. bei Hausgeburten betreut?
  4. Bis zu welchem Grad ist 2017 die aufsuchende Wochenbettbetreuung durch Hebammen in Kerpen gesichert gewesen?
  5. Welche Unterschiede gibt es hinsichtlich der Nutzung von Hebammenleistungen in Kerpen in Bezug auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen oder Stadtteile?[2]

Begründung: Im Sozialgesetzbuch V - Gesetzliche Krankenversicherung - § 24d Ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe heißt es:

Die Versicherte hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge; ein Anspruch auf Hebammenhilfe im Hinblick auf die Wochenbettbetreuung besteht bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach der Geburt, weitergehende Leistungen bedürfen der ärztlichen Anordnung. Sofern das Kind nach der Entbindung nicht von der Versicherten versorgt werden kann, hat das versicherte Kind Anspruch auf die Leistungen der Hebammenhilfe, die sich auf dieses beziehen. Die ärztliche Betreuung umfasst auch die Beratung der Schwangeren zur Bedeutung der Mundgesundheit für Mutter und Kind einschließlich des Zusammenhangs zwischen Ernährung und Krankheitsrisiko sowie die Einschätzung oder Bestimmung des Übertragungsrisikos von Karies. Die ärztliche Beratung der Versicherten umfasst bei Bedarf auch Hinweise auf regionale Unterstützungsangebote für Eltern und Kind.

Frauen haben in Deutschland einen Anspruch auf freie Wahl des Geburtsortes ihres Kindes:[3]

Die Versicherte hat Anspruch auf ambulante oder stationäre Entbindung. Die Versicherte kann ambulant in einem Krankenhaus, in einer von einer Hebamme oder einem Entbindungspfleger geleiteten Einrichtung, in einer ärztlich geleiteten Einrichtung, in einer Hebammenpraxis oder im Rahmen einer Hausgeburt entbinden.

Nach unserer Kenntnis sind derzeit in Kerpen wohnhaft 11 Hebammen beim Kreisgesundheitsamt gemeldet, von denen 4 an Krankenhäusern angestellt sind und 7 freiberuflich praktizieren.

In Kerpen sind Schwangere, die eine Hausgeburt wünschen, auf Betreuung durch Hebammen und Entbindungshelfer aus Köln und Frechen angewiesen. Ein Geburtshaus gibt es nur in Köln. Alternativen zur Klinikgeburt gibt es also in Kerpen nicht.[4] In Bergheim ist immer mal wieder von einer möglichen Schließung der dortigen Krankenhaus-Entbindungsstation die Rede. Die Krankenhaus-Geburtsstation in Frechen hat mittlerweile geschlossen. Werdende Mütter sind also gezwungen auf die weit entfernten Geburtsstationen in Düren und Köln, evtl. Brühl auszuweichen.

Die zwei Hebammenpraxen in Türnich und in Horrem können u.E. nur einen Bruchteil der Frauen und Neugeborenen in Kerpen betreuen, setzt man einen Betreuungsschlüssel von 5/6 Familien p.m. pro Hebamme an bei 667 Geburten in Kerpen 2017. Selbst wenn die Leistungen von nebenberuflich tätigen Hebammen einbezogen werden, bleibt nach Einschätzung etwa der Hebammenzentrale Köln oder von Frau Martina Kruse vom Präventionsteam Frühe Hilfen in Kerpen trotzdem eine Mangelversorgung bestehen. Die Vor- und Nachsorge von Gebärenden ist also auch in Kerpen nicht gesichert.

Der Grund ist u.a., dass die niedrigen Honorare für Leistungen von Hebammen sowie die massiv gestiegenen Berufshaftpflichtprämien viele Hebammen und Entbindungspfleger zur Berufsaufgabe gezwungen haben bzw. zwingen. Auch für die Klinikhebammen gilt entsprechend, dass wegen der schlechten Bezahlung viele ihren Beruf aufgegeben haben und entsprechender Personalmangel in den Kliniken herrscht. Eine Versorgung mit Hebammenleistungen ist also nur noch eingeschränkt und keinesfalls flächendeckend gewährleistet. Dabei leistet eine Hebamme nicht nur eine medizinisch, sondern auch psychosozial notwendige Betreuung für Mutter und Neugeborene.

Trotzdem steigt andererseits der Bedarf: Die Geburtenzahlen in Kerpen sind mittlerweile nicht mehr rückläufig:[5]

Jahr

1997

2001

2005

2008

2010

2011

2013

2014

2015

2016

2017

Geburten

713

583

578

600

563

529

529

594

657

657

667

Vor allem aber steigt der Bedarf, weil Wöchnerinnen aus finanziellen Gründen schneller aus der Klinik entlassen werden müssen. Selbst bei Frühgeburten oder wegen überstandener Krankheit unterernährten Säuglingen finden dann die Entbindungsstationen der Kölner Krankenhäuser oft keine Hebammen.

Daher ist es nicht verwunderlich, wenn der AOK-Report „Gesunder Start ins Leben“ aus 2018 konstatieren muss, dass nicht nur die Hebammenversorgung hierzulande besorgniserregend schlecht ist, sondern auch die Säuglingssterblichkeit in Deutschland europaweit und insbesondere im innerdeutschen Vergleich in NRW ungewöhnlich hoch ist.

Wir sehen aufgrund unserer Recherchen hier in jedem Fall Handlungsbedarf – auch auf kommunaler Ebene. Gerade einer Stadt, die familienfreundlich aufgestellt sein möchte und weiterhin Neubaugebiete für junge Familien ausweist, kann dieser Mangel an Infrastruktur nicht gleichgültig bleiben. Denn die Versorgung mit Hebammenleistungen gehört zur Grundversorgung der Bevölkerung wie die Versorgung mit Hausärtz*innen.[6]

 


[1] Wie zuverlässig sind die Abmeldungen von der Berufsausübung? Praktizieren also noch alle gemeldeten freiberuflichen Hebammen?

[2] Vgl. hierzu: AOK Rheinland/Hamburg, 2018, Gesunder Start ins Leben, S. 26 ff.

[3] SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung - § 24f.

[4] Die Folge ist auch eine aus unserer Sicht unerwünschte zunehmende Pathologisierung der Geburt, erkennbar an der Zunahme von Kaiserschnitten in den letzten Jahren; wie insgesamt die Entwicklung eine falsche Ökonomisierung eines natürlichen Vorgangs darstellt.

[5] Datenquellen: KDVZ und It-NRW

[6] Vgl. unseren Antrag zur Gründung eines kommunalen MVZ angesichts des in Kerpen bestehenden Mangels an Hausärzt*innen.