Es gibt keinen Gegensatz zwischen den Interessen der Arbeiter:innenklasse und den Forderungen aus Feminismus, Antirassismus, der LSBTTIQ*-Bewegung und dem Kampf gegen Klimawandel. Solidarität ist unsere Waffe – sie ist unteilbar!
Schlechte Aussichten oder: Die Nostalgie als Symptom im Programm von Parteien wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht
Kommentar
Als Reaktion auf die Enttäuschung der Moderne entsteht ein Hang zu autoritären Lösungen und zur allgemeinen Realitätsverweigerung, u.a. erkennbar am sich ausbreitenden nostalgischen Wunsch, sich in Vergangenes zu flüchten, bis hin zu vormodernen völkischen Zugehörigkeiten inklusive dazu passender Herrenvolkmentalität – dies zeigt der Zulauf zu politischen Gruppierungen mit Bezug auf Völkisches, Nationales oder sonst längst Vergangenes einer Welt, die es so nicht mehr gibt und auch nie wieder geben wird, wie die Ära Brandt oder die Ära Helmut Schmidt. Die Folge ist: Es gibt ein wachsendes Panoptikum von Verwirrten in der Politik und den Regierungen des Westens, auch hierzulande, und es gibt immer mehr von denjenigen, die ihnen und ihrer Propaganda glauben und sie wählen.
Der nostalgische Wunsch, in einen imaginierten umsorgten früheren Zustand zurückzukehren, wo in der heimischen mittelständischen Industrie ohne Bedrohung durch "übermächtige" Großkonzerne und Finanzunternehmen - das Muster schaffendes vs. raffendes Kapital ist unschwer zu erkennen - und ohne Konkurrenzdruck durch Zugewanderte und Geflüchtete - für deren "Probleme" soll irgendwie in ihren Herkunftsländern Abhilfe geschaffen werden - die "Fleißigen" arbeiten bei "gutem Lohn" - das gute alte Loblied der Arbeit! -, und eine fast schon religiös anmutende Technologiegläubigkeit , die die Lösung der aktuellen Fragen von Klimakatastrophe und Umweltzerstörung einfach ausblenden kann, sind kennzeichnend etwa für das 4-seitige Parteiprogramm "Unser Parteiprogramm" des Bündnis Sahra Wagenknecht.
Sicher: Die letzten Jahrzehnte mit ihren nutzlosen Verausgabungen bis hin zu einer allgemeinen Übersättigung in allen Bereichen unserer bürgerlichen Welt zeigen: Gerade wegen der steigenden Produktivität unserer immer stärker global vernetzten Ökonomie sinkt gleichzeitig die Möglichkeit, das Einkommen innerhalb der Gesellschaften des Westens gerechter zu verteilen, vgl. Oliver Nachtwey, 2016, Die Abstiegsgesellschaft, Frankfurt/Main. Die Folge ist, dass die immer wieder beschworenen Versprechungen von Fortschritt, Entwicklung und sozialem Aufstieg sich immer mehr als nicht einlösbar oder fehlerhaft entpuppen. Die Menschen sind gezwungen, um ihren erreichten Lebensstandard nicht zu verlieren, die bestehenden sozialen Verhältnisse in Frage zu stellen. Aber warum richtet sich dieser Aufstand gegen die berechtigten Interessen der Migrant:innen und Ausländer:innen statt gegen die Oberschichten? Warum wird geradezu mit einer Besessenheit das Trauma des einheimischen, männlichen, weißen Arbeiters analysiert und die Lage der unterbezahlten weiblichen oder rassialisierten Arbeiter:innen hierzulande übersehen?
Die Nostalgie für eine auf Gewerkschaftslöhnen basierende, fordistische Industriewirtschaft ignoriert, dass eine solche Wirtschaft immer sowohl durch kolonialen Extraktivismus als auch durch die rassialisierte, geschlechtsspezifische Niedriglohn-Dienstleistungswirtschaft subventioniert wurde. (Harsha Walia, 2023, Gegen Öko-Apartheit, Berlin)
Die Verdrängung des globalen Kontextes unserer Ökonomie ist kollektiv und wurzelt in der jahrhundertelang gepflegten patriarchalischen imperialen Lebensweise - vgl. Stephan Lessenich, 2018, Neben uns die Sintflut, München - als integraler Bestandteil unseres in Europa entwickelten Modells des bürgerlichen Nationalstaats. Dennoch oder gerade deswegen ist dies kein Grund sich damit abzufinden und sich mit der Programmatik von Parteien wie dem BSW zufriedenzugeben, in deren Agenda Migrant:innen und Frauen, Reproduktion und Care-Arbeit und die Herausforderungen des Klimawandels nicht oder nur marginalisiert vorkommen.
Und unter diesem Gesichtspunkt stellt es eben keinen Widerspruch dar, sich nicht nur gegen Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung, sondern auch von Natur und Umwelt, gegen Gewalt und Patriarchat und "gegen alles, was den Einzelnen an sich selbst bindet und dadurch seine Unterwerfung unter die anderen sicherstellt",1 gemeinsam mit den Arbeitenden, den Migrant:innen, den Frauen, den Klima- oder den Gender- und LGBTQ-Aktivist:innen einzusetzen.2
1 Michel Focault, 2007, Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst, Frankfurt/Main, S. 86.
2 Vgl. auch hierzu: Sandro Mezzadra, Mario Neumann, 2017, Jenseits von Interesse & Identität. Klasse, Linkspopulismus und das Erbe von 1968, Hamburg.
Für Demokratie, Vielfalt und Menschlichkeit in Kerpen
Redebeitrag zur Kundgebung
Sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart waren und sind wir als Linke immer in besonderer Weise Hass, Hetze und Gewalt von Rechts ausgesetzt gewesen. Doch davon lassen wir uns nicht einschüchtern, denn wir wissen, dass wir durch den Rechtsstaat halbwegs geschützt werden. Was uns dagegen größte Sorge bereitet ist, dass der Rechtsextremismus mit der AfD eine politische Vertretung gefunden hat, die sich in allen Parlamenten breitmacht und bis in die Mitte der Gesellschaft trägt.
Wir fürchten uns davor, dass sich mit dieser Partei der behördliche Rassismus ausweitet auf alle maßgeblichen Institutionen in Gemeinwesen und Staat. Und wir möchten nicht einer Polizei oder anderen Ordnungskräften ausgeliefert sein, die von rassistischen Vorurteilen geleitet werden. Wir möchten nicht, dass Richter über uns urteilen, deren Rechtsprechung von ihrer völkischen Gesinnung bestimmt wird. Wir wollen nicht, dass in den Schulen gelehrt wird, die Zeit des Nationalsozialismus sei in der deutschen Geschichte bloß ein Vogelschiss gewesen.
Faschistische, rassistische und nationalistische Gesinnung hat in unseren Behörden, Gerichten und Schulen nichts verloren. Diese Einstellungen sind nicht nur eine Bedrohung für Menschen mit einem Einwanderungshintergrund, Geflüchteten oder Menschen deren sexuelle Orientierung von der Norm abweichen, sondern betreffen letztendlich uns alle.
Noch sind diese Gefahren abzuwehren. Doch das gelingt nur, wenn wir uns alle zusammen dagegen wehren.
Fotos: © Thomas Ristow