Anfrage zur Sitzung des Rates am 24.04.2018: Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit in Kerpen

Annetta Ristow / Hans Decruppe (DIE LINKE)

Die Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft hat die Initiative ergriffen, zwecks Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit im Kreis einen kreisweiten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu schaffen. Dieser Initiative liegen die im Anhang vorgetragenen Überlegungen zu Grunde, siehe Anlage.

Der Initiative schließt sich die DIE LINKE. Kerpen an und stellt folgende Anfrage:

Welchen Bedarf und welche Möglichkeiten der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen sieht die Verwaltung in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, d.h. in

a) kommunalen (Aufgaben-)Bereichen,

b) gemeinnützigen (Aufgaben-)Bereichen und

c) gesellschaftlich nutzbringenden (Aufgaben-)Bereichen der Kolpingstadt Kerpen?

Wir bitten die Verwaltung, bei der Beantwortung der Anfrage die im Anhang von der Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft vorgetragenen Überlegungen für öffentlich geförderte Beschäftigung zugrunde zu legen und die (Aufgaben-)Bereiche und möglichen Beschäftigungsbedarfe(-möglichkeiten) für diese Bereiche jeweils abzuschätzen.

Begründung: Aufgrund unserer Anfragen vom 30.11.2017 und 19.12.2017 zur Langzeitarbeitslosigkeit bzw. zum Hartz-IV-Langzeitleistungsbezug in Kerpen (Drs. Nr. 673.17 und 711.17) ergibt sich folgendes Bild: 6.464 Menschen sind in Kerpen (im Juni) 2017 hilfebedürftig und auf den Bezug von Hartz-IV angewiesen. Darunter befinden sich 4.416 potentiell erwerbsfähige Menschen. Das ergibt bei 38.050 potentiell Erwerbsfähigen in Kerpen einen Anteil von knapp 12 % der erwerbsfähigen Menschen in Kerpen, die hilfebedürftig sind. Davon sind seit mehr als 2 Jahren 2.873 Menschen und unter ihnen seit mehr als 4 Jahren 1.968 Menschen in Kerpen Hartz-IV-Langzeitbezieher. Dauerhafte Abhängigkeit von Hartz-IV-Leistungen ist also auch in Kerpen für viele Menschen im erwerbsfähigen Alter ein großes Problem.

Sie sind auf Hilfestellung zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt angewiesen. Dennoch befinden sich in 2017 lediglich 1.097 Menschen der 4.416 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Kerpen in einer sogenannten Integration in den 1. Arbeitsmarkt. Das heißt: Dreiviertel von ihnen bleiben ohne diese Chance. Dennoch führen auch die wenigen Integrationen nicht zum Ziel der Aufnahme einer „bedarfsdeckenden“ Beschäftigung. Von den 1.097 Integrationen sind es lediglich 393 bedarfsdeckende Arbeitsaufnahmen, die den Hartz-IV-Bezug für mindestens 3 Monate beenden können.

Eines der Haupthemmnisse der Hartz-IV-Langzeitbezieher ist die fehlende berufliche Qualifikation. Viele von ihnen haben keine Berufsausbildung, nur einen Hauptschulabschluss oder noch nicht einmal diesen. In der Beantwortung unserer Anfrage vom 19.12.2017:

Welche regionalen Spielräume hat das Jobcenter, um seine Fördermaßnahmen für den Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu intensivieren und zu verstetigen z.B. bei der nachholenden Qualifizierung Betroffener ohne Schul- oder Ausbildungsabschluss?

gibt das Jobcenter Rhein-Erft an:

Dem Jobcenter Rhein-Erft stehen alle Instrumente des SGB II zur Verfügung. Regionale Einschränkungen hierzu gibt es nicht. Jedoch muss das Jobcenter Rhein-Erft die Gesamtschau im Rhein-Erft-Kreis in den Fokus nehmen. Aktuell müssen die Jobcenter mit einer vorläufigen Haushaltsführung arbeiten.

Das bedeutet u.E.: Qualifizierungsmaßnahmen wären zwar sozialpolitisch erforderlich und sollten arbeitsmarktpolitisch angegangen werden, sind aber offensichtlich vom Jobcenter nicht durchzuführen.

Vor dem Hintergrund begrüßt die Fraktion UWG / DIE LINKE. Kerpen die von der Linksfraktion im Kreistag Rhein-Erft gestartete Initiative, um angesichts der guten Haushaltslage im Kreis, die einer Finanzierung Spielräume eröffnet, in Rhein-Erft bzw. auch in Kerpen das Problem der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit endlich in einem ersten Schritt konstruktiv anzugehen.

15.04.2018

Annetta Ristow

Fraktionsvorsitzende UWG / DIE LINKE im Rat der Kolpingstadt Kerpen

 


 

Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit im Rhein‐Erft‐Kreis

Die Frage der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist eine herausragende Aufgabe, um dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wie dem Auftrag der Landesverfassung NRW in Artikel 24 Abs. 1:

„Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit.“

gerecht zu werden.

Die Fraktion DIE LINKE. im Kreistag hat deshalb die Initiative ergriffen, einen kreisweiten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu schaffen. Dieser Initiative liegen folgende Überlegungen zu Grunde:

1. Das Bundesministerium für Wirtschaft stellte im Februar zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland fest:

„Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem kräftigen Aufschwung. Im Jahr 2017 nahm das Bruttoinlandsprodukt stärker zu als in den vorangegangenen Jahren. Auch im vierten Quartal entwickelte sich das BIP ordentlich. (…).

Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften in weiten Teilen der Wirtschaft sorgt für eine Beschäftigung auf Rekordniveau und in manchen Regionen für Vollbeschäftigung. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind weiterhin rückläufig. Herausforderungen beispielsweise beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit bleiben bestehen.“

Der letzte Satz verweist auf die Schattenseite der wirtschaftlichen Entwicklung: Das nicht gelöste Dauer‐Problem von Langzeitarbeitslosigkeit. Diese Feststellung gilt auch für den Rhein‐Erft‐Kreis, denn die Zahlen der Langzeitarbeitslosen bleiben verfestigt auf hohem Niveau. Im Januar dieses Jahres zählte die Statistik der Agentur für Arbeit 6.972 Menschen als langzeitarbeitslos; das waren 42,5 % aller Arbeitslosen im Kreis. Zum Vergleich: Im Januar 2017 waren 7.560 Menschen und im Januar 2016 waren 7.916 Menschen langzeitarbeitslos.

DIE LINKE. hat seit langem und auf allen politischen Ebenen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit die Schaffung von öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Beschäftigungssektoren (öBS) gefordert. Ich selbst habe das Thema wiederholt in meinen Haushaltsreden im Kreistag angesprochen. Zur Finanzierung des Beschäftigungssektors haben wir angeregt, die Leistungen des Hartz IV‐Bezugs nebst Eingliederungshilfen ergänzt durch Zuschüsse einzusetzen (sog. „Passiv‐Aktiv‐Transfer“).

Wir begrüßen, dass nun ebenfalls die Bundesregierung das Konzept des „Passiv‐Aktiv‐Transfers“ aufgreifen möchte. So heißt es im Koalitionsvertrag 2018 von CDU/CSU und SPD:

„Wir wollen Vollbeschäftigung erreichen: Ziel der Vollbeschäftigung und Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit. 4 Milliarden Euro zusätzlich für neue Chancen in einem sozialen Arbeitsmarkt für langzeitarbeitslose Bürgerinnen und Bürger.“ (Zeile 371 ff des KV.)

und weiter:

„Dazu schaffen wir u. a. ein neues unbürokratisches Regelinstrument im Sozialgesetzbuch II „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“. Wir stellen uns eine Beteiligung von bis zu 150.000 Menschen vor. Die Finanzierung erfolgt über den Eingliederungstitel, den wir hierfür um vier Milliarden Euro im Zeitraum 2018 bis 2021 aufstocken werden. Wir ermöglichen außer dem den Passiv‐Aktiv‐Transfer in den Ländern. Der Bund stellt dazu die eingesparten Passiv‐Leistungen zusätzlich für die Finanzierung der Maßnahmen zur Verfügung.“ (siehe Zeile 2252 ff. des KV)

2. Was unter dem Konzept des „Passiv‐ Aktiv‐Transfer“ zu verstehen ist, hat der Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Sell (Koblenz) anschaulich grafisch dargestellt (hier mit den Werten aus 2016):

 

Wir meinen als LINKE, dass es sozialstaatlich geboten und sozialpolitisch richtig und realistisch ist, das Konzept des „Passiv-Aktiv-Transfer“ zu nutzen und auch im Rhein-Erft-Kreis zu institutionalisieren.

Gute öffentlich geförderte Arbeit bietet die Alternative, statt der Verwaltung von Langzeitarbeitslosigkeit in einem System, das die Betroffenen vielfach als demütigend erleben, sozialversicherungspflichtige und anständig bezahlte Arbeit in kommunalen, gemeinnützigen und gesellschaftlich nutzbringenden Bereichen zu schaffen.

3. Rechnet man das Konzept überschlägig durch, so ist es realistisch.

Unter den aktuellen Bedingungen im Rhein-Erft-Kreis ergäben sich folgende Passiv-Leistungen, die eingebracht werden müssten:

  1. ALG II-Regelleistung:                                                             416 EUR
  2. Kosten der Unterkunft (durchschnittlich)*:                          414 EUR
  3. Sozialversicherungsleistungen (durchschn.)*:                     161 EUR
  4. Gesamt:                                                                                 991 EUR

(*Anmerkung: Durchschnittswerte gemäß Statistik der Bundesagentur für Arbeit für den Rhein-Erft-Kreis – Oktober 2017)

Auf der Aktiv-Seite ergibt sich bei einer 30 Stunden/Woche (130 Stunden/Monat) und  einem in Ansatz gebrachten Verdienst von 12 EUR/brutto in der Stunde ein

  1. Brutto-Monatsverdienst von:                                               1.560 EUR
    (= Netto-Verdienst: 1.140 EUR)
  2. Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung:                        302 EUR
  3. Gesamt                                                                                  1.862 EUR

Daraus errechnet sich ein Zuschussbedarf von rund:                         871 EUR, der sich zusammensetzen müsste aus:

  1. Eingliederungsmittel (§ 16e SGB II)
  2. Zusatzmittel des Bundes
  3. ESF- und andere Fördermittel
  4. Eigenanteil öffentlicher und gemeinnütziger Beschäftigungsträger
  5. Zuschuss durch den Kreis

Der Jahreszuschussbedarf für eine derartige Stelle beträgt somit 871 EUR X 12 Monate = 10.452 EUR. Geht man in einem ersten Schritt von einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit 100 Langzeitarbeitslosen im Kreis aus, würde ein Finanzierungsvolumen von rund 1.045.200 EUR p.a. benötigt. Rechnet man konservativ, dass der Kreis rund 50 % des Zuschussbedarfs trägt, wäre das ein Aufwand von 500 TEUR p.a., d.d. ein jährlicher Betrag von ca. 5.000 EUR je Beschäftigten.

Wir sind der Meinung, dass angesichts der aktuellen positiven Entwicklung des Kreishaushalts (u.a. Rückgang der für die Kosten der Unterkunft (KdU) benötigten Mittel um über 10 Mio. EUR), Spielräume für eine Finanzierung des Anteils des Kreises an einem solchen Beschäftigungssektor gegeben sind. Der Kreis könnte einen entsprechenden Zuschussanteil tragen.

4. Ein Konzept für gute öffentliche geförderte Beschäftigung müsste aus unserer Sicht zudem weitere Kriterien erfüllen:

  1. Strikte Freiwilligkeit der Bewerbung auf die Stellen
  2. Keine Befristung der Stellen
  3. Begleitung und Unterstützung
  4. Qualifizierungsangebote
  5. Unterstützung bei Bewerbungen auf andere Stellen.

13. April 2018

Hans Decruppe

Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Kreistag Rhein-Erft