Antrag zur Sitzung des Rates am 04.07.2018: Stadtwerke Kerpen – Fehlen einer CoC-Klausel im Vertragswerk

Thomas Ristow (DIE LINKE)

Seit dem 03.04.2017 hatte unsere Fraktion DIE LINKE wegen entsprechender Zeitungsartikel, wonach die RWE die von ihr gehaltenen Anteile an innogy SE lediglich als Finanzbeteiligung betrachte und an Plänen zum Verkauf ihrer Anteile arbeite, dies mehrfach zum Anlass genommen, das Thema „Prüfung einer angemessenen Regelung für den Fall eines Kontrollwechsels bei der innogy SE“ noch vor Vertragsabschluss mit innogy SE als künftige Partnerin unserer Stadtwerke klären zu lassen.[1] Aus unserer Sicht war eine solche Klausel notwendig, um das Investment der Stadt absichern zu können. Dennoch wurde eine geeignete Klausel zum Kontrollwechsel (= Change of Control = CoC), letztlich nicht Teil des Vertragswerks. So stellt die Verwaltung nach dem Bekanntwerden des innogy-Deals zwischen E.ON und RWE im Frühjahr 2018 am 24.04.2018 lapidar fest (Drs. 253/18):

Der Wechsel der Kontrolle über innogy von RWE zu E.ON löst keine Kündigungs- oder sonstige Rechte der Kolpingstadt aus. Innogy hatte die Vereinbarung entsprechender Regelungen explizit abgelehnt.

Diese Ablehnung in 2017 war mit ein wesentlicher Grund für unsere Fraktion dem Vertrag mit innogy SE zur Gründung von Stadtwerken nicht zuzustimmen.

Die Fraktion beantragt in dem Zusammenhang die Beantwortung folgender Fragen:

  • Welche Vorteile hätte eine geeignete CoC-Klausel zum Schutz des Investments der Stadt in ihre Stadtwerke mit innogy SE als Partnerin in der jetzigen Situation gehabt?
  • Welche Nachteile sind mit dem Fehlen einer geeigneten CoC-Klausel in der jetzigen Situation verbunden?

Es gibt in zahlreichen NRW-Kommunen, etwa Dortmund, Neuss, Essen, Bottrop/Gladbeck/Gelsenkirchen,[2] Stadtwerke, die mit innogy SE gemeinsame Gesellschaften betreiben – und über eine entsprechende CoC-Klausel verfügen. Für sie gibt es Handlungsoptionen, die von ihnen jetzt schon geprüft werden, über die die Stadt Kerpen wegen der Nachlässigkeit der hiesigen Akteure bei der Stadtwerkegründung nicht verfügt, vgl. etwa folgende Hinweise unserer alten Beraterin Becker Büttner Held (= bbh) auf ihrem Energieblog am 14.05.2018:[3]

Becker Büttner Held hat in der Vergangenheit solche „Change-of-Control“-Klauseln zu Gunsten von Kommunen und Stadtwerke vielfach durchsetzen können, sowohl im Rahmen der Begleitung von Konzessionsverfahren als auch bei der gesellschaftsrechtlichen Umsetzung bspw. von Kooperationsmodellen. Die Zulässigkeit solcher Change-of-Control-Klauseln (u.a. als Auswahlkriterium) im Konzessionswettbewerb konnte zwischenzeitlich auch erfolgreich vor mehreren Gerichten verteidigt werden. In Fällen wie der nun angekündigten innogy-Transaktion können sich aus solchen Klauseln nun sehr interessante Handlungsmöglichkeiten für Kommunen Stadtwerke ergeben. (…)

Betroffene Stadtwerke und Kommunen sollten sich frühzeitig einen Überblick über mögliche Auswirkungen der geplanten Transaktion verschaffen. Im Hinblick auf zahlreiche, unterschiedlichste Konstellationen von Stadtwerkebeteiligungen, Kooperationen und Konzessionsverträgen der innogy und ihren Tochtergesellschaften ist zu empfehlen, die gesellschafts- und konsortialvertraglichen Regelungen sowie die Konzessionsverträge insbesondere auf Change-of Control-Klauseln und deren Rechtsfolgen zu überprüfen. In einigen Fällen wird man zwar abwarten müssen, bis konkretere Informationen zu der „technischen“ Umsetzung der Transaktion vorliegen. Häufig lässt sich aber jetzt schon abschätzen, welche Handlungsoptionen bestehen. Dabei kommt es auch darauf an, welche Fristen für die Rechtsausübung gelten.

Letztlich könnten sich daher aus der geplanten Transaktion neue Marktchancen nicht nur für die beiden hieran unmittelbar beteiligten Unternehmen, sondern auch für innogy-Beteiligungsunternehmen ergeben. Die aktuell deutlich vernehmbaren Diskussionen auf kommunaler Ebene sprechen dafür, dass die Kommunen diese sich aus „Change-of-Control“-Klauseln ergebenden Chancen bereits konkret in den Blick nehmen.

Im Wesentlichen geht es u.E. darum, dass die Stadtwerke Kerpen nun wegen der fehlenden CoC-Klausel Probleme damit haben, vor dem Hintergrund des innogy-Deals überhaupt eigene Wachstumsstrategien zur Sicherung des Unternehmens und seines Gesellschaftszwecks entwickeln zu können, denn ein evtl. sinnvoller Wechsel der Stadtwerkepartnerin ist ja ausgeschlossen: Die Stadtwerke Kerpen sind einem zukünftigen Vertriebsriesen E.ON schlicht ausgeliefert usw. Das zeigen u.E. in toto die Ausführungen von Verwaltung und Beraterin Rödl & Partner in Beantwortung der Anfrage der Ratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 24.04.2018: Unsere Kommune muss anders als o.g. NRW-Kommunen abwarten, sie kann jetzt nicht wie diese agieren, und später kann sie, wenn überhaupt, allenfalls eingeschränkt re-agieren.

  • Wurde die Stadt von Rödl & Partner gut beraten, ein Vertragswerk mit innogy SE ohne CoC-Klausel abzuschließen, obwohl die Pläne der RWE bezüglich der innogy SE schon bekannt waren und unsere Fraktion in 2017 damals auf eine Klärung des Problems mehrfach gedrängt hatte (vgl. auch Drs. 273.17 unter 2e) vom 13.06.2017 sowie 357.17, S. 11f. vom 04.07.2017)?
  • Ist das Fehlen einer geeigneten CoC-Klausel auf eine unzureichende Beratung durch Rödl & Partner zurückzuführen? Kann die Beraterin im Falle von Nachteilen für die Stadt wegen der fehlenden CoC-Klausel noch haftpflichtig gemacht werden? Hat die Stadt hierzu schon Vorkehrungen getroffen?
  • Gibt es bei der Vertragspartnerin, etwa in Gestalt von Aufsichtsratsmitgliedern, die im Dezember 2017, also vor der Vertragsunterzeichnung mit der Stadt, zugleich der innogy SE wie der RWE angehörten und denen aufgrund ihrer Doppelmitgliedschaft in beiden Aufsichtsräten die Pläne des innogy-Deals von RWE und E.ON eigentlich hätten bekannt sein müssen, Personen, die die Stadt hierüber trotzdem im Unklaren gelassen haben? Und wenn ja, könnte dann der Vertrag zwischen der Stadt und innogy SE deshalb für unwirksam erklärt werden?

Der innogy-Deal zwischen RWE und E.ON ist sicher nicht am 11.03.2018, dem Tag der Bekanntgabe entschieden worden. Sondern, wie bbh in ihrem o.g. Beitrag auf ihrem Energieblog schreiben, waren dieser Mitteilung „wochenlange Gespräche vorausgegangen. Angekündigt wurde nicht weniger als die Aufteilung der deutschen Energiewirtschaft nach Wertschöpfungsstufen unter den beiden Großkonzernen.“[4] Vorausgegangen waren seit Frühjahr 2017 außerdem andere Mergers & Acquisitions-Projekte der RWE um ihre Tochter innogy SE.[5] Dies macht eine entsprechende Kenntnis des bevorstehenden innogy-Deals im Dezember 2017 für Entscheidungsträger*innen u.E. wahrscheinlich. In einem Artikel der FAZ vom 14.03.2018 heißt es:[6]

Die Neuordnung der deutschen Stromwirtschaft gibt auch den Investmentbanken einen Schub. Auf den ersten Blick sind nur ausländische Berater mandatiert: Eon nämlich ließ sich von der französischen BNP Paribas und der amerikanischen Perella Weinberg beraten, während RWE die beiden amerikanischen Institute Citigroup und Bank of America Merrill Lynch beauftragte. Der Aufsichtsrat von RWE ließ die Analyse über angemessene Transaktionsbedingungen („Fairness Opinion“) wiederum von Rothschild erstellen.

Aber: In die Verhandlungen mit RWE waren noch weitere Investmentbanken involviert. Der Essener Versorger verhandelte lange Zeit auch mit dem italienischen Wettbewerber Enel und mit Iberdrola aus Spanien. Nach Informationen der F.A.Z. aus der Branche mandatierte Enel dafür das amerikanische Institut JP Morgan die Deutsche Bank. Iberdrola ließ sich von der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley beraten. Die Banken lehnten einen Kommentar dazu auf Anfrage ab.

Mandate bei einer solch großen Transaktion sind bedeutsam für das Prestige der Investmentbanken und auch für die Ranglisten, die Fachdienste über die Beteiligung der Berater erstellen (…).

Pech hat zudem, wer am Ende einen Bieter beraten hat, der schlussendlich nicht zum Zuge kommt. Die Transaktion RWE/Eon/Innogy wird als eine der spektakulären Transaktionen das Fusionsjahr 2018 mitprägen. (…)

Dass die Gründung der Stadtwerke in Kerpen zu den wesentlichen Ereignissen im Geschäftsjahr 2017 der innogy SE gehört und damit u.E. auch dem innogy-Aufsichtsrat im Dezember 2017 hat bekannt sein müssen, zeigt der Geschäftsbericht der innogy SE 2017. Dort heißt es auf S. 44 unter „1.5. Wesentliche Ereignisse“:

innogy entwickelt konzessionsbasiertes Netzgeschäft weiter. Im zweiten Halbjahr 2017 haben wir nach mehrjährigen Gesprächen mit den Städten Kerpen und Pulheim die Verhandlungen zu Netzkooperationen erfolgreich zum Abschluss bringen können. Im vergangenen Jahr haben wir in Deutschland über Konzessionserneuerungen, Beteiligungslösungen oder Verzicht auf Sonderkündigungsoptionen die Versorgung von mehr als 690.000 Einwohnern gesichert. innogy hat damit im Kerngebiet ihre Partnerstrategie erfolgreich umgesetzt. Insgesamt werden in Deutschland 14,6 Millionen Einwohner über die Netze der innogy-Gruppe versorgt.

Fazit aus unserer Sicht: Ursprünglich wollte die Stadt in einem transparenten Bieterverfahren sich ihre zukünftige Stadtwerkepartnerin selbst aussuchen. Das Moratorium der Ratsmehrheit hat dann dafür gesorgt, das wegen der fehlenden CoC-Klausel nun allein RWE die zukünftige Stadtwerkepartnerin aussuchen durfte. Ob Engie, Enel oder nun E.ON – wer auch immer die zukünftige Partnerin werden würde, darauf hatte die Stadt keinen Einfluss mehr.

Die Fraktion erwartet, dass der Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke zu den von uns aufgeworfenen Fragen ausführlich Stellung nimmt.

 


[1] Vgl. etwa Drs. 319/17 oder die Mail an den Technischen Beigeordneten vom 19.05.2017 16:56 mit entsprechenden Hinweisen.

[2] Vgl. etwa Matthias Düngelhoff e.a., 13.03.2018, Deal der Energieriesen betrifft auch die Ele, in: WAZ.

[3] bbh. Der Energieblog, 14.05.2018, Was der innogy-Deal von E.ON und RWE für Stadtwerkebeteiligungen, Kooperatio­nen und Konzessionsverträge bedeutet.

[4] Vgl. hierzu auch: Bericht des Vorstands der E.ON SE über die Gründe für den Ausschluss des Bezugsrechts im Rahmen der Sachkapitalerhöhung aus Genehmigtem Kapital 2017, wo darauf hingewiesen wird, dass die Verwendung dieser Mittel für den innogy-Deal vorher eingehend geprüft wurden.

[5] Vgl. etwa: Manager Magazin, 19.11.2017, Ökostrom-Konzern muss um Eigenständigkeit fürchten, wo berichtet wird, dass die RWE-Beraterin Bank of America Merrill Lynch aktuell bei einem möglich Deal mit der italienischen Enel aktiv ist. Entsprechend der WAZ-Artikel von Ulf Meinke, 08.11.2017, Fusionsfieber rund um Eon, RWE, Innogy und Uniper, der u.E. zeigt, dass vor der Kerpener-Stadtwerke-Vertragsunterzeichnung mit der Partnerin innogy SE das Monopoly bei RWE und E.ON um innogy. SE schon im vollem Gange war.

[6] Klaus Max Smolka, 2018, Wo sind die deutschen Berater von Eon und RWE, in FAZ 14.03.2018