Antrag zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 02. September 2014, TOP 11: Nachlass eines Kerpener Bürgers

Thomas Ristow

1.) Die Linksfraktion beantragt, die an die Stadt Kerpen zwischenzeitlich ausgezahlten aus dem Nachlass des Sindorfer Bürgers Richard Eduard Otto Schenk stammenden Mittel in Höhe von circa 730.000 € ganz im Sinne des Letzten Willens des Erblassers zu verwenden, nämlich um es „armen verhungernden Leuten“ als konkrete Hilfe zum Lebensunterhalt zukommen zu lassen, d.i. um den physischen Hunger in Form von Lebensmitteln oder warmem Essen unmittelbar zu beseitigen.

Begründung: Aus unserer Sicht stellt nur dies eine angemessene und den Willen des Erblassers respektierende Verwendung dar. Denn hätte er anderes im Sinn gehabt, nämlich sein Erbe in ein sicher wichtiges und auch prestigeträchtiges Bauvorhaben wie das „Haus der Familie“ zu stecken, hätte er dies auch gemacht. Auch der Beschluss des Kreistags hierzu vom 20.03.2014 (Drucksache 114/2014) ist aus unserer Sicht eindeutig, wenn angegeben ist, dass das gesamte Vermögen aus dem Nachlass armen verhungernden Leuten zukommen soll. Verbucht wird der Betrag dort unter „Hilfe zum Lebensunterhalt“. Zudem: Die Beschlussvorlage der Verwaltung erweckt den Eindruck, dass die Verwendung von 30.000 € aus diesem Erbe für direkte und unbürokratische Fälle von „Hunger“, nämlich bei Kindern, für die Armutsverhältnisse der Stadt Kerpen ausreichend ist, sodass der Hauptteil des Erbes mit bis zu 700.000 € für Baumaßnahmen zur Verfügung stehen kann. Dies ist aus unserer Sicht wenig plausibel. Es gibt sicher nicht nur Kinder in Kerpen, die von Armut bzw. Hunger bedroht sind. Auch wenn die bestehende und bekannte Kinderarmut in Kerpen besonders beschämend und dringlich zu beseitigen ist.

Ein Beispiel: Aus unserer Sicht ist es notwendig, etwa die auch in Kerpen festzustellende offene und verdeckte Altersarmut in den Blick zu nehmen. Auch in Kerpen gibt es Menschen, die Grundsicherung im Alter beanspruchen müssen. Wie die Hans-Böckler-Stiftung[1] berichtet, konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass viele Rentnerinnen und Rentner grundsätzliche Probleme haben, die Grundsicherung im Alter zu bekommen. Mögliche Gründe wären Unkenntnis, Angst vor den Behörden, Angst vor sozialer Kontrolle, Angst vor drohenden Zwangsumzügen, sowie die irrige Befürchtung, dass die eigenen Kinder in Regress genommen werden könnten. Außerdem könnte für viele Betroffene eine Rolle spielen, bloß nicht in den in unserer Gesellschaft gegenüber in Armut Lebenden gerne in herabwürdigender Absicht geäußerten Generalverdacht des Sozialschmarotzers kommen zu wollen und deswegen zu meinen, eher nach der Maxime leben zu müssen: „Lieber hungern, als zum Sozialamt zu gehen!“ Dass in der Tat von einer entsprechenden Dunkelziffer, einer sogenannten verdeckten Altersarmut, auszugehen ist, obwohl die Rentenversicherung verpflichtet ist, über die Ansprüche aufzuklären, bestätigt o.g. Studie. In ihr wird ermittelt, dass die Quote der Nichtinanspruchnahme bei gut zwei Dritteln liegt. Dies ist aus unserer Sicht auch für Kerpen anzusetzen. Das heißt, unter uns in Kerpen leben bedürftige Rentnerinnen und Rentner, die aus Unkenntnis oder Scham auf ihre Ansprüche verzichten und lieber hungern, als ihre Ansprüche geltend zu machen.

Natürlich gilt für Kerpen wie in NRW überhaupt, je jünger man ist, desto größer ist das Armutsrisiko. Hier mit Hilfe des Nachlasses konkrete Hilfe zu leisten ist richtig. Von Armut und Hunger betroffen sind aber nicht nur Kinder oder alte Menschen, sondern auch Jugendliche, kinderreiche Familien mit wenig Einkommen, Alleinerziehende.

Wir verweisen hierzu wiederum nur exemplarisch auf die in der vom Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum herausgegebene Broschüre[2] erwähnte Studie, die zum Schluss kommt, dass für auf Hartz IV angewiesene Menschen eine gravierende Bedarfsunterdeckung hinsichtlich Ernährung für Jugendliche zu konstatieren ist.[3]

Fazit: In jedem Fall ist aus Sicht der Linksfraktion angesichts der Situation eine Umkehrung im Verhältnis der Verwendung des Erbes erforderlich: Aus unserer Sicht sollten 700.000 € in konkrete Hilfe gegen Hunger und Armut in unserer Einwohnerschaft fließen und, wenn überhaupt notwendig, lediglich 30.000 € für Zwecke, die unmittelbar erst einmal niemanden sättigen. 

2.) Die Linksfraktion beantragt daher, dass sich die Verwaltung zunächst einen entsprechenden Überblick verschafft, um die tatsächliche Bedürftigkeit von Einwohner*innen der Kolpingstadt in den Blick zu bekommen und um danach erst geeignete Maßnahmen für die Verwendung des Erbes für von Armut und Hunger bedrohte Kerpener*innen vorschlagen zu können. So findet sich mit dem Lobby-Restaurant in Köln aus unserer Sicht ein vielleicht auf Kerpener Verhältnisse in einigen Teilen übertragbares Konzept. Insbesondere sollte unserer Meinung nach aber geprüft werden, inwieweit auch ein nachhaltiger Einsatz der Erbmasse im Sinne des Erblassers, also für konkrete Hilfe für von Armut und Hunger betroffene Menschen Kerpens, möglich ist.

Linksfraktion. Kerpen

 

[1] Irene Becker, 2012, Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit im Alter, in: Zeitschrift für Sozialreform 2/2012; Hans-Böckler-Stiftung, 2012, Pressemitteilungen 2012: Studie: Grundsicherung erreicht viele arme Senioren nicht, 11.09.2012

[2] Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum, 2012, Wie viel Geld ist für was in den Hartz-IV-Sätzen enthalten? Mitglied dieses Bündnisses sind u.a. attac, AWO, BUND, Diakonie, DGB, VdK.

[3] S. 18ff.