Haushaltsrede Linksfraktion Kerpen 2019/20

Annetta Ristow

Wir sind der Meinung, dass es mit den sogenannten Sparmaßnahmen allein nicht getan ist, damit Kerpen am Ende des Haushaltssicherungskonzepts 2025 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen kann: u.a. die enormen Abschreibungen und Kreditzinsen für die anstehenden geplanten Schulneubauten werden jegliche Sparbemühungen konterkarieren.

Maßnahmen wie

  • Gewässerunterhaltungsgebühren,
  • Gebühren für Hausnummern,
  • Verzicht auf das Projekt „Jugendparlament“,
  • Reduzierung freiwilliger Zuschüsse,

wie sie der Kämmerer vorschlägt, bieten daher keine substantiellen Effekte in unserer Haushaltslage. Sie dienen nur dazu, den Sparwillen zu zeigen und die – aus Sicht der neoliberalen Schuldenökonomie – „richtigen Signale in Richtung Aufsichtsbehörde und Bevölkerung zu senden“ – so der Bürgermeister in seiner Haushaltsrede. Schulden als Disziplinierungsmittel lehnen wir aber ab: nicht nur auf individueller Ebene, etwa in Form von Sanktionen bei Hartz IV, sondern auch auf kollektiver Ebene als lebensfeindliches Macht- und Drohmittel. Die Folgen sehen wir auch hier vor Ort, nämlich eine anhaltende Demotivation in Politik und Verwaltung angesichts der desolaten Haushaltslage.

Sinnvolle Einsparungen öffentlicher Mittel sind natürlich unabhängig von der Haushaltslage immer aufzuspüren und zu realisieren. Ein Beispiel: So wurde von unserer Fraktion die Erhöhung der Sitzungsgelder im Stadtwerke-Aufsichtsrat entschieden abgelehnt. Denn dies ist in der Tat angesichts unserer Haushaltslage das falsche Signal in Richtung Aufsichtsbehörde und Bürgerschaft!

Ein Ärgernis für uns ist auch die Zunahme der Inanspruchnahme externer Beratungsleistungen. Sie produzieren Zusatzkosten – externe Vergaben sind wegen anfallender Gewinnmargen und Umsatzsteuer um ein Drittel teurer als die Aufgabenwahrnehmung mit eigenem Personal. Hier ist Kostenersparnis absolut sinnvoll und nötig, denn wir haben gutes und kompetentes Personal hier in Kerpen.

Ich höre dem Bürgermeister genau zu und bin lernfähig. Ich möchte daher wie er bildhaft klarmachen, worum es uns hier geht.

In den Überlieferungen des Ostjudentums gibt es die Geschichte von Rabbi Eisik.

Der lebte in Krakau und träumte eines Nachts, er solle nach Prag wandern. Dort, unter der Karlsbrücke, die hinüberführt zum Schloss, werde er einen Schatz finden. Als er diesen Traum drei Mal geträumt hatte, wanderte er los. Aber in Prag an der Brücke standen viele Wachposten, die den Übergang zum Schloss bewachten. Rabbi Eisik konnte es nicht wagen, seine Schaufel zum Graben anzusetzen. Er ging jeden Tag zur Brücke, umkreiste sie bis zum Abend und überlegte, wo wohl sein Schatz liegen könnte.

Dem Hauptmann der Wache fiel der Rabbi auf und schließlich fragte er ihn: „Warum kommst du jeden Tag hierher und lungerst hier herum?“ Da erzählte Rabbi Eisik seinen Traum. Der Hauptmann lachte aus vollem Hals und erwiderte: „Wo kämen wir hin, wenn wir Träumen trauen würden? Ich zum Beispiel träume nun schon wochenlang von einem armen Juden in Krakau. Ich solle nach Krakau wandern und unter dem Ofen in seiner Stube graben, dort würde ich einen Schatz finden!“

Rabbi Eisik lächelte, verneigte sich höflich vor dem Hauptmann und wanderte zurück nach Krakau. Dort angekommen, grub er schleunigst unter seinem Ofen, wo der Schatz lag

Später, als Eisik der berühmte und heilige Rabbi Eisik des Ostjudentums geworden war, pflegte er zu sagen: „Grab nicht woanders, grab bei dir."

Derzeit wäre eine Anhebung der Grundsteuer B auf 1026 Punkte das einzige Mittel, um einen Haushaltsausgleich sofort erreichen zu können – so wiederum der Bürgermeister.

Für uns ist die Erhöhung der Grundsteuer B nicht das Mittel erster Wahl zur Haushaltskonsolidierung.  Sie  ist nicht sozial, sie differenziert nicht nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Betroffenen. Besteuert wird nach der Größe der genutzten Wohnfläche. Kinderreiche Familien sind aber auf größere Wohnungen angewiesen. Sie haben nun einen unverhältnismäßig höheren Anteil an der Grundsteuer über die Mietnebenkosten zu tragen. Auch für Geringverdiener*innen wird es schwieriger, die Kosten für das Wohnen überhaupt aufzubringen.

Wir lehnen daher den Haushaltsentwurf 2019/2020 ab.

Wir sind der Meinung: Eine wirksame und sozial gerechte Haushaltskonsolidierung gelingt nur mit Stärkung der Einnahmen durch kluge Investitionen in die Zukunft unserer Stadt. Hierzu haben wir seit 2014 immer wieder Vorschläge gemacht, die leider nur zögerlich und verspätet umgesetzt werden. Stichworte:

  • Gründung einer kommunalen Bau- und Planungsgesellschaft,
  • mehr Personal für das Fördermittelmanagement,
  • aktive Bodenmanagementpolitik,
  • Vergabe von städtischen Grundstücken nach Erbbaurecht über die Stadttochter GEV.

Fazit: Wichtige Zeit wurde vertan, um die finanzielle Lage der Stadt schon in der Vergangenheit zu verbessern.

Wir wollen Investitionen in die soziale Infrastruktur, in Kultur und Umwelt für ein lebenswertes Kerpen.

Beispiel: Sozialer Wohnungsbau. Hier muss nach wie vor mehr getan werden, um der Nachfrage nach preiswertem Wohnraum nachkommen zu können. Sozialer Wohnungsbau ist auch ein Mittel, um der beschämenden Kinderarmut in Kerpen seitens der Kommune selbst entgegenzutreten. Denn ein Grund für die prekäre Situation ist auch die sogenannte Wohnkostenlücke: Vom Jobcenter werden nur die angemessenen Wohnkosten ersetzt. In 2017 wurden fast jedem fünften Haushalt nicht die vollen Wohnkosten anerkannt, im Durchschnitt etwa 80 € monatlich pro Haushalt. Ein Umzug in eine preiswertere Wohnung ist aber nicht möglich, weil Wohnraum fehlt. Die Betroffenen sparen sich das fehlende Geld dann meist vom Mund ab. Hier bringt den Betroffenen dann das Vorhandensein von preiswertem Wohnraum eine wichtige Entlastung. Und schließlich: Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen!

Beispiel: unsere Anträge zu:     

  • soziale Infrastruktur für Menschen mit einer Behinderung,
  • Verbesserung des Beratungsangebots Altenhilfe/Pflegeberatung,
  • Verbesserung der geriatrischen Versorgung durch Hausbesuche,
  • Beseitigung des Mangels an Hausärzt*innen durch ein MVZ,
  • bessere Versorgung aller Bevölkerungsschichten mit Hebammenleistungen.

Schöner und preiswerter (Kosten der letzten Räumung des Hambacher Forsts) wäre es auch gewesen, wenn Kerpen sich in der Sache Braunkohleverstromung und Hambacher Forst nicht weiterhin so verkrampft und willig einseitig RWE-affin gezeigt hätte. Zumindest die Resolution zu den Aktionen rund um den Tagebau Hambach, in der Absicht den berechtigten Protest der Klimaschützer*innen zu kriminalisieren, hätte nach unserem Willen unterbleiben müssen. Denn der längst überfällige Verzicht auf die Braunkohleverstromung bedeutet auch ein Mehr an Lebensqualität für uns hier in Kerpen. Und darum muss es uns in der Politik gehen – auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierung!