Gegen einen weiteren Zerfall der kommunalen Infrastruktur. Für ein Um-Steuern in der Steuerpolitik – im Interesse der Kommunen

Thomas Ristow

In Kerpen gilt wie anderswo auch in Deutschland - die öffentlichen Kassen sind leer. Ein Grund für die Misere ist:

  • Infolge einer ungerechten Steuerpolitik und Verteilung der Steuerlast werden Großunternehmen, große Einkommen und Vermögen seit Jahren entlastet, der Allgemeinheit und dem Normalbürger unverhältnismäßig mehr Lasten aufgebürdet.

Hinter dieser Politik steht eine Wirtschaftsordnung, die kennzeichnet ist von einer Fixierung auf Profit und Wettbewerbsfähigkeit am Markt als Mittel für den wirtschaftlichen Erfolg - und die gekennzeichnet ist durch eine Eigentumsordnung, die erlaubt, unbegrenztes Eigentum an Vermögen, Grund und Boden und Produktionsmitteln anzuhäufen und weiterzuvererben. In der Tat ermöglicht dies die Entstehung von superreichen Haushalten: Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung verfügen die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland 2008 über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens. Nur so sei sichergestellt, so die Logik der herrschenden Politik, dass ständig innovative Produkte nachhaltig für die Bedürfnisse der Konsumenten am Markt hergestellt werden, dass Wirtschaftswachstum gesichert sei und damit sowohl die öffentlichen Haushalte handlungsfähig blieben und Arbeitsplätze gesichert wären. Die steuerliche Entlastung der wichtigen nationalen Unternehmen, der Reichen und Mächtigen läge somit ebenfalls im Interesse aller, weil sie notwendig sei, um die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Wirtschaft und ihrer Unternehmen auf dem globalen Markt zu erhalten. Und damit hätten alle etwas davon, nicht nur die Produzenten, sondern auch die  Allgemeinheit und jeder Einzelne, für dessen Wohl, Auskommen und Gesundheit ja gesorgt sei.

Das Gegenteil ist der Fall - wie die aktuelle Wirtschaftslage zeigt. Trotz steigenden Vermögens in Deutschland: Nur die Vermögenden werden reicher und im Gegenzug sinkt zum Beispiel die Beschäftigungsquote derjenigen, die von ihrer Arbeit leben können, und steigt die Arbeitslosigkeit und die Zahl der prekär Beschäftigten. Diese Art zu wirtschaften ist nicht menschengerecht, denn sie nutzt nur Wenigen, schädigt aber nicht nur die Natur und ihre begrenzten Ressourcen und damit unser aller Lebensgrundlage, sondern die Wohlfahrt der Allgemeinheit und der Vielen, ihre Handlungsfähigkeit und Gesundheit, und macht damit ein solidarisches und friedliches Miteinander in unserem Wirtschaftsleben mehr und mehr unmöglich. Ungleichverteilung an Einkommen und Vermögen und die damit verbundene Ungleichverteilung an Macht ist kein Standortvorteil, sondern führt zu Not und Elend, aber nicht nur weit weg von uns, sondern auch direkt vor unserer Haustür, heute, hier, in Kerpen. Die Armut von Kindern, jungen Erwachsenen und Familien und alten Menschen macht trotz bzw. wegen Hartz IV auch vor Kerpen nicht halt und die Kommune steht vor der Aufgabe hier gegensteuern zu müssen.

Aber finanzielle Spielräume für die Kommunen schwinden notwendigerweise, wenn der Bund große Einkommen und Vermögen sowie die Großunternehmen steuerlich einseitig entlastet. Das Geld fehlt dann in den öffentlichen Haushalten. Dort regiert deswegen nur noch der Kürzungswahn.

Hinzukommt,

  • Land und Bund haben Aufgaben in die Kommunen verlagert und Standards per Gesetz festgelegt, beteiligen sich aber andererseits nicht in angemessenem Rahmen an der notwendigen Finanzierung. So gilt beispielsweise auch für Kerpen: Nur ein Drittel der Kosten für diejenigen, die aufgrund einer verfehlten, allein auf die Interessen der Unternehmen ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik keine Arbeit bzw. keine auskömmlich bezahlte Arbeit finden können und deswegen Hartz IV beantragen müssen - während andere Überstunden machen oder sich krank arbeiten -, übernehmen Land und Bund, obwohl es deren verfehlte Arbeitsmarktpolitik ist, die die Menschen in die Jobcenter treibt.

Die Folge ist, dass Kommunen in Deutschland ihrer Aufgabe insgesamt nicht mehr gerecht werden können. Dieter Vesper (2013) hat mit seiner lesenswerten Expertise "Auswirkungen der Schuldenbremse auf die Haushalte ausgewählter Bundesländer und ihrer Gemeinden" im Auftrag von ver.di diese Situation in den Kommunen zutreffend analysiert. Sie findet sich hier. Auch für Kerpen gilt: Es existieren keine ausreichenden Handlungsspielräume für die kommunale Entwicklung und die Wohlfahrt der Einwohnerschaft mehr, wenn es, überspitzt formuliert, nur noch darum geht: Wie lässt sich angesichts der leeren Kasse eine erzwungene Haushaltskonsolidierung, ein Nothaushalt bzw. ein Haushaltssicherungskonzept, wie es in Wesseling oder Erftstadt etwa längst an der Tagesordnung ist, für Kerpen weiter vermeiden? Sparmöglichkeiten zu suchen, freiwillige Leistungen abzubauen, eine zu hohe Kreisumlage zu beklagen oder Steuererhöhungen zu Lasten der Einwohnerschaft in Erwägung zu ziehen sind dann auch in Kerpen die Mittel, das „Beste aus der Lage zu machen“. Die Verantwortlichen in unserer Politik haben längst resigniert: Wer auch immer ihrer Kolleg*innen in Düsseldorf oder Berlin das Sagen hat, eine Änderung wird von denen nicht mehr erwartet.

Letztlich macht das auf die Kerpener Bürgerinnen und Bürger den Eindruck: „Hier wird nur noch der Mangel verwaltet!“. Zwar tut sich in Kerpen noch etwas im Bereich Investitionsmaßnahmen etwa für Schulen oder Kindertagesstätten. Insgesamt liegen die Investitionen immer noch über den Abschreibungen: Kerpen hat also nicht einen so enormen Werteverlust an Eigentum zu verzeichnen wie die meisten Kommunen in Deutschland. Dennoch, um nur ein paar Beispiele zu nennen:

  • Der Blick auf die Straßen in Kerpen zeigt, dass Infrastruktur zerfällt und notwendige Sanierungen, also nicht nur freiwillige Ausgaben, sondern notwendige Unterhaltungsmaßnahmen, unterbleiben oder aufgeschoben bzw. nur behelfsweise ausgeführt werden etwa mit Dünnschichtasphaltdecken (nur 5 - 7 Jahre Lebensdauer) oder der Reparatur begrenzter Schadstellen im Patching-Verfahren, da sie ja nicht als Investitionsmaßnahmen im Haushalt ausgewiesen werden können und deswegen nicht getätigt werden, um eine schlechte Performance im Haushalt zu vermeiden.
  • Investitionen wie in ein neues Bürgerhaus für den Stadtteil Sindorf, wegen der dort stark gewachsenen Bevölkerung, sind nicht finanzierbar. Die Förderung von Kultur, Sport, der Begegnung und Beratung ist aber eine wichtige kommunale Aufgabe. Auch für die Stadt Kerpen gibt es also einen Investitionsstau.
  • Entsprechend wird eine defensive Personalpolitik in der Kerpener Verwaltung betrieben, denn es gibt kaum Luft, um eventuell anstehende Lohnerhöhungen aufgrund der berechtigten Forderungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst unterbringen zu können.
  • Die Fallzahlen der Heimunterbringung in Kerpen sind für Rhein-Erft vergleichsweise hoch – dies könnte zu Kürzungen im freiwilligen Bereich der Kerpener Jugendhilfe führen, so konnte man anläßlich der Einbringung des Kerpener Doppelhaushalts 2013/2014 hören.
  • Für die Zukunft werden wegen der Haushaltslage notwendig werdende weitere Entnahmen aus den Rücklagen der Stadt prognostiziert. So musste ja schon 2003 die kommunale Erftland für die Haushaltssanierung herhalten, von der sie sich erst langsam wieder erholt.

Fazit: Auch wir in Kerpen leben also von der Substanz. Es wird mit gutem Willen das Mögliche getan, aber Vorne und Hinten reicht es nicht. All dies führt langfristig zur Resignation - auch bei unserer Bürgerschaft.

DIE LINKE. Kerpen ist überzeugt: Wenn hier nicht entschieden gegengesteuert wird, gefährdet dies langfristig auch unsere Demokratie. Der kommunale Kürzungswahn wie in Kerpen und anderswo sowie die seit Jahren notorische Unterfinanzierung unserer Kommunen muss ein Ende haben. Denn wir brauchen auch gesamtwirtschaftlich Städte und Gemeinden, die durch Investitionen in Straßen, Gebäude oder Personal endlich die Binnennachfrage stärken und Arbeitsplätze schaffen. Die Kritik am kommunalen Kürzungszwang seitens der LINKEN als „Jammerei, die nicht weiterhilft“ abzutun, übersieht, dass es eine Alternative zur Politik des Sparens gibt: die Umverteilung und Steuererhöhungen für Vermögende und Reiche sowie die Erhöhung der Steueranteile für die Kommunen. Ohne dies wird eine dauerhafte Konsolidierung unserer Kerpener Finanzen nicht zu haben sein.

  • Eine solide Finanzausstattung der Kommunen durch eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer, die Einführung des Konnexitätsprinzips („Wer bestellt, der bezahlt!“) und eine Erhöhung des Anteils der Kommunen am Gesamtsteueraufkommen sind also dringend geboten. Hier müssen zukünftig die Kommunen verstärkt gegenüber Land und Bund Druck machen, vor allem unsere hiesigen Ratsfraktionen der in Düsseldorf und Berlin regierenden etablierten Parteien sind in der Pflicht, etwa zuständige Landtags- und Bundestagsabgeordnete einzuladen und vor Ort in Kerpen mit den Problemen zu konfrontieren.
  • Den Vermögenden ist es aufgrund ihrer Vernetzung und der mit ihrem Vermögen verbundenen Macht bislang gelungen, notwendige staatlichen Regulierungen derart zu gestalten, dass ihre kurzsichtigen Interessen nicht gefährdet sind. Steuerpolitisch betrachtet hat sich Deutschland gleichsam zu einem "Schurken"-Staat entwickelt. Auch die EU leistete und leistet dieser Entwicklung Vorschub, indem mehr und mehr wichtige Kompetenzen an Technokraten und demokratisch nicht legitimierten Gremien abgetreten werden. So gewinnen die Reichen und Mächtigen über ihre Netzwerke weiter an Einfluss und Mitsprache - den normalen Lohnabhängigen bleibt in Brüssel nur noch der symbolische Protest auf der Straße, wie etwa jetzt bei der gewerkschaftlichen Großdemonstration am 04. April 2014. Die EU-Kommissionsmitglieder erreicht dies nicht. Deshalb fordern wir als LINKE im Bund ein entschiedenes Gegensteuern: das Ende der Abgeltungssteuer für Kapitalerträge, die Wiederherstellung einer angemessen hohen Erbschaftssteuer auf große Erbschaften und die Wiedererhebung der Vermögensteuer. Die Steuergeschenke an Reiche und Konzerne müssen ein Ende haben. Wie eine Studie vom 06. März 2014 des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung feststellt, „haben Bund, Länder und Gemeinden durch die Steuerrechtsänderungen seit Ende der 1990er-Jahre bis 2013 per Saldo 484 Milliarden Euro weniger eingenommen“ (aus: 06.03.2014, Aktuelle Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung). Die Vermögensteuer etwa in Form einer Millionärsteuer, d.h. mit einem Steuersatz von 5 Prozent ab 1 Million Euro Vermögen, hätte für die städtischen Haushalte im Rhein-Erft-Kreis beachtliche Mehreinnahmen zur Folge, nämlich die stolze Summe von über 22 Millionen Euro.

Pickett/Wilkinson (2010 ) stellen in ihrem Buch "Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind" fest, dass Glück nicht wächst, je reicher man wird, wobei dies für die Gesellschaft insgesamt wie auch für ihre einzelnen Mitglieder, selbst für die Reichen und Mächtigen, gilt.  Im Gegenteil: Länder wie die USA, Großbritannien, Neuseeland, wo die oberen 20 % bis zum Achtfachen mehr an finanziellen Mitteln zur Verfügung haben als die unteren 20 %, haben auch ein Mehr an Gewalt, an Mordraten, an Diskriminierung, an schlechten Schulabschlüssen, an unrealistischen Berufswünschen bei Schulkindern ( z.B. trotz bzw. wegen, schlechter Schulnoten Ärztin, Pilot oder Popstar werden zu wollen) zu verzeichnen sowie ein Mehr an Schwangerschaften Minderjähriger, an Strafgefangenen, an psychisch Kranken, an Gesundheitsproblemen wie Fettsucht gegenüber Ländern wie Schweden, Finnland oder Japan, wo die oberen 20 % lediglich das Vierfache wie die unteren 20 % zur Verfügung haben.

Eine ungleiche Gesellschaft produziert also ein Mehr an Stress - auch für die Reichen, Mächtigen und Vermögenden, die um ihren Platz in der sozialen Hierarchie ungleicher Gesellschaften entschieden stärker kämpfen müssen, was wiederum ihre Sterblichkeit gegenüber Vermögenden in einer gleicheren Gesellschaft erhöht. Deutschland befindet sich auf dem Wege in Richtung der ungleicher aufgestellten Industrienationen. Aber das kann, wie die Autoren zeigen, selbst für die Vermögenden unter uns in Deutschland nur aus kurzsichtigen Gründen erstrebenswert sein.

Die Zunahme ökonomischer und sozialer Ungleichheit in einem Land richtet zwangsläufig großen wirtschaftlichen Schaden an. Die übliche Antwort hierauf, mit einem Mehr an Überwachung, Polizei, präventiver Sozialberatung oder an Gefängnissen zu kontern, bewirkt oft nicht einmal für den Augenblick etwas. Ein Beispiel sind sicher auch die enormen Kosten im Bereich Jugendhilfe der Stadt Kerpen, Stichwort Heimkinderunterbringung. Um hier wirklich Kosten einzusparen, reicht eben nicht Prävention allein, sondern die ökonomische und soziale Gnadenlosigkeit unserer Gesellschaft muss ein Ende haben, indem die systematische Beförderung seitens der hierfür politisch Verantwortlichen von Ungleichverteilung an Reichtum und Macht und damit Einfluss in unserer Gesellschaft aufhört. Ein anderes Beispiel ist auch die Zunahme von Vandalismus im öffentlichen Raum oder die Folgen des Suchtproblems einer perspektivlos gewordenen Gesellschaft, die in Kerpen ebenfalls zu beobachten sind. Und das heißt: Das Ausmaß der sozialen und ökonomischen Ungleichheit in unserer Gesellschaft ist als entscheidender Kostenfaktor für uns alle zu identifizieren - hier muss Vorsorge ansetzen, bei der Beseitigung von Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen. Ein Mehr an Sozialberatung, an Sozialarbeit in unseren Quartieren mag für den Augenblick gut sein - kuriert aber nur die Symptome - und das reicht nicht.